Patientengeschichten
Stefan Berg, ehemaliger Redakteur beim "SPIEGEL" und Parkinsonpatient beschreibt hier gemeinsam mit Chefarzt Prof. Dr. Ebersbach, wie wichtig es ist, einen "gesunden Umgang mit der Krankheit" zu finden.
Interview mit Stefan Berg, geboren 1964
Ich kann neue Wege gehen
Unheilbar krank: Kaum etwas verändert das Leben so tiefgreifend wie dieser Befund. Jetzt kommt es nicht nur auf die richtige Behandlung an, sondern auch auf die KRAFT ZUR SELBSTBEHAUPTUNG.
ZUR PERSON:
Stefan Berg, geboren 1964 in Ost-Berlin, seit 1996 Redakteur beim SPIEGEL.
Im Suhrkamp Verlag erschien 2013 seine Erzählung „Zitterpartie“, in der er sich mit seiner Erkrankung auseinandersetzt. Als nächstes erschien 2014 das Buch Landgang in Zusammenarbeit mit Günter de Bruyn (Fischerverlage).
Der folgende Text enthält Auszüge aus einem in "SPIEGEL Wissen" erschienenen Artikel. Den vollständigen Text finden Sie in der Ausgabe 4/2013. Stefan Berg, Redakteur beim "SPIEGEL" und Parkinsonpatient beschreibt hier gemeinsam mit Chefarzt Prof. Dr. Ebersbach, wie wichtig es ist, einen "gesunden Umgang mit der Krankheit" zu finden.
ICH KANN NEUE WEGE GEHEN
BERG: Ich bekam Tabletten mit seltsamen Namen. Man kann verschiedene Wirkstoffe verschieden kombinieren. „Einstellen“ nennen das die Ärzte. Es ist wichtig, sehr wichtig. Es hilft, man merkt es: Der Tremor lässt nach, die Füße setzen sicherer. Aber wie muss ich mich selber „einstellen“, welche Einstellung muss ich zur Krankheit finden? Mir wurde empfohlen, Sport zu treiben. Nicht als Alternative zur Medikamententherapie, sondern als Ergänzung. Ich kaufte mir ein Rennrad. Das Radfahren tat mir gut, ich musste mich auf das Gleichgewicht konzentrieren, Bewegungen koordinieren, Muskeln anspannen. Aber was noch wichtiger war: Der Sport war heilsam für meine Seele. Die Wackelei hatte mein Selbstbewusstsein beschädigt. Nun konnte ich etwas tun. Aktiv sein wie früher. Jeder Kilometer, den ich schaffte, zeigte mir, dass ich eben nicht nur krank bin, dass an mir noch immer mehr gesund als krank ist. Und ich war noch immer zur Geschwindigkeit fähig. Es war auch ein Versuch, die Krankheit abzuschütteln. Ich liebte es, mich selbst zu spüren. Manchmal schrie ich auf dem Rad. Ich brüllte meine Angst hinaus. Schreitherapie nannten wir das, ein guter Freund mit Multipler Sklerose und ich. Lebenszeichen.
Erfolge. Und nicht nur warten müssen auf den nächsten Termin beim Arzt.
Ebersbach: Im Mittelpunkt steht die Suche nach der Erfahrung, selbst über das eigene Schicksal mitbestimmen zu können und eben nicht nur hilfloses Objekt der „Einstellung“ zu sein. Diese Suche anzustoßen und zu unterstützen ist elementarer ärztlicher Auftrag, viel älter, mühsamer, zeitaufwendiger und wichtiger als die Einstellung von Medikamenten und Stromimpulsen.
BERG: Alle Krankheiten vorher hatten irgendwann wieder aufgehört. Die Lungenentzündung, die Erkältungen –Medikamente, eine kurze Pause, und alles war wieder in Ordnung. Diese Krankheit aber werde ich nicht mehr los. Sie ist ein Marathonlauf. Manchmal habe ich Angst, liege ich wach, manchmal will ich allein sein. Dann frage ich mich, ob ich mich verändere. Und was an mir eine Folge der Krankheit ist und was eine der Tabletten. Ich musste lernen, die Krankheit zu bekämpfen und zu akzeptieren. Eine Doppelstrategie. Ich habe die Krankheit nie versteckt, aber natürlich freue ich mich, wenn jemand sagt: Ich habe nichts bemerkt. In mir ist tiefe Sehnsucht nach Normalität. Gibt es einen Weg, krank und heil zugleich zu sein? Ich muss die Nachteile ertragen, aber suche die Vorteile der Veränderung. Kollateral-Vorteil, sagt ein Freund. Ich kann mich befreien vom Konkurrenzdenken. Ich suche eigene, neue Maßstäbe, an denen ich mich messe. In der Verlangsamung entdecke ich auch einen Gewinn: Ich kann ruhiger und intensiver leben. Ich werde die Langsamkeit nicht ertragen, ich werde sie genießen. Ich versuche es. Es ist verdammt schwer, richtig krank zu sein.
EBERSBACH: Meist dauert es lange Zeit, bevor etwas zunächst noch sehr Fremdes, eine Diagnose, ein Morbus Soundso, langsam zu einem unabtrennbaren Teil des eigenen Lebens wird, zu einem Begleiter. Der Start in das Leben mit der chronischen Krankheit kann durch wütende Abwehr bestimmt sein, durch gleichmütiges Geschehenlassen, verzweifelte Resignation oder mutwilliges Ignorieren. Viele Betroffene durchleben einen langen, schmerzlichen Lernprozess, bis sie zu der Einsicht kommen, dass man diesen Begleiter niemals loswerden wird, dass es vergebliche Mühe ist, die Begleiterscheinungen des Parkinsons ignorieren zu wollen. Und dass es trotzdem Möglichkeiten gibt, ein erfülltes und genussreiches Leben zu leben. „Aktivierende Therapie“ ist ein vor einigen Jahren geprägter Begriff, der Behandlungsmethoden wie Physiotherapie, Logopädie oder Ergotherapie beschreibt, die dem Betroffenen helfen, Kräfte zu mobilisieren und Kompetenzen zurückzugewinnen. Viele können bei entsprechender Konzentration oder Motivation mit großen schnellen Schritten gehen und mit lauter Stimme sprechen. Das Problem ist also nicht der Mangel an Potential, sondern die Unfähigkeit, es einzusetzen. Der Körper registriert die parkinsonbedingte Bewegungsverarmung zunehmend als normal – und normale Bewegungen oder Sprechlautstärke als übertrieben. Sehr intensives Sprech-und Bewegungstraining kann helfen, die eigene Bewegungswahrnehmung wieder zu „rekalibrieren“.
BERG: Mein Arzt empfahl mir, mich mit der Salutogenese zu beschäftigen, einer medizinischen Sichtweise, die nicht danach fragt, warum einer krank wird, sondern wie einer gesund bleiben kann. Salus – Heil, Genese – Entwicklung. Ich las und las, und es tat mir gut. Diese Sichtweise auf den Menschen reduziert Medizin nicht auf die Beseitigung der Mängel der Menschen-Maschine. Heute sage ich nicht mehr: Ich bin krank. Sondern: Ein Teil von mir ist krank, aber viel mehr ist gesund. Auf Fragen mit dem Wort „noch“ antworte ich nicht. Ich überlege, wie ich den gesunden Teil in mir stark machen kann. Ich bin kein Feind der Schulmedizin geworden, nein, ich profitiere von ihr. Aber ich glaube, dass die medikamentöse Therapie ergänzt werden muss. Ich merke, dass nicht nur Türen zugegangen sind. Ich kann neue Wege gehen.